Eine theatrale Feldforschung über Biografien als Lebenssinn-Konstruktionen

"EIN FEIND IST JEMAND DESSEN LEBENSGESCHICHTE MAN NICHT GEHÖRT HAT“ * (UA)

Foto: ©MEYER ORIGINALS

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Vier Schauspieler*innen begegnen Migrant*innen in Köln und Bonn, begleiten sie im Alltag und versuchen, ihren Lebenssinn-Konzeptionen und Perspektiven näher zu kommen. Inmitten einer abendlichen Gesellschaft in der intimen Atmosphäre der Bar48 entwickeln die Schauspieler*innen in Tischgesprächen über Heimat und Glaube, Aufbruch und Utopie, Macht und Werte ein facettenreiches Bild dieser Lebensentwürfe im 21. Jahrhundert. - Und stellen die Frage nach dem Einfluss von Migration auf Biographie und Identität.

„Ein Feind ist jemand dessen Lebensgeschichte man nicht gehört hat“ ist eine theatrale Recherche, die Biografieforschung und Ethnografie mit Theater verknüpft. These ist, dass die Sinnkonstruktion von Biografie im Sinne eines "doing biography" hervorgebracht wird. Die Schauspieler*innen versuchen, mit wissenschaftlicher Unterstützung durch eine Ethnologin, im Prozess der Annäherung zu erforschen, wie die Biograph*innen den Sinnzusammenhang ihrer Migrationsgeschichte konstruieren  - und sie suchen nach Bezugspunkten zu weitreichenden gesellschaftlichen Umbrüchen und übergeordneten globalen Einflüssen. Es eröffnet sich ein subjektiver, kaleidospopischer Einblick in persönliche Lebenswege, es zeigen sich Beweggründe und Ausweglosigkeit, Abenteuerlust und Lebensvisionen und verführen zu empathischer Anteilnahme. Der monatelange Dialog zwischen den Künstler*innen und den Migrant*innen in seiner Transparenz ist Thema dieses Projektes und zugleich praktische Theaterforschung. "Wenn wir uns mit unseren 'Informanten' treffen, fühlt es sich fast an wie Freundschaft - aber dennoch sind fein auszutarierende Fragegrenzen da." (Isis Krüger im Vorgeschaut-Interview mit Dorothea Marcus, akt.46 Oktober '13)

EIN FEIND IST JEMAND DESSEN LEBENSGESCHICHTE MAN NICHT GEHÖRT HAT steht in einer Reihe mit den beiden Theaterprojekten “SEEGANG INS UNGEWISSE – eine theatrale Reise“ und “DEUTSCHLAND PRIVAT – Lebenslage illegal“, die sich mit dem Thema Flucht und Migration auseinander setzen. Die Recherche dient der Vorbereitung auf den letzten Teil der Trilogie: "MERRY-GO-ROUND".

* Slavoj Žižek: Die bösen Geister des himmlischen Bereichs, Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert, Ffm 2011, S.243.

 

Pressestimmen

"Eine schicke, in Weiß und Gold gekleidete Dame (Katrin Nowak) weht in die 'Bar48'. Sie scheint froh, das hektische Treiben des Neumarkts vor der Tür zu lassen, wirkt freundlich, aber auch ziemlich gehetzt. Während sie die Füße ausruht, erzählt eine Politikwissenschaftlerin aus Pakistan von ihrer Familie, und wie sie nach Deutschland kam. Die Geschichte ist echt, doch vorgetragen wird sie von Schauspielerin Isis Krüger. (...) wirkt die dritte Zusammenarbeit zwischen theater-51grad.com und intakt e.V. zum Thema Flucht und Migration im 21. Jahrhundert abstrakter als die Vorgänger 'Seegang ins Ungewisse – eine theatrale Reise' (2010) und 'Deutschland privat - Lebenslage illegal' (2012). Weniger spielerisch und dramatisch wird der szenische Rahmen ins elegant-kühle Ambiente gesetzt, etwas zu additiv folgen die Erzählungen aufeinander und werden nur gelegentlich von Fragen der weißgoldenen Durchreisenden unterbrochen. Deren Interventionen spitzen die 75minütige Collage dann gegen Ende besser zu. Dass sie in ihrer effiziensorientierten Betriebsamkeit und dem oberflächlichen Interesse so etwas wie eine Spiegelfigur des 'westlichen Menschen' an sich verkörpert, gehört zu den Stärken des Abends. Auch wenn vieles nur angetupft wird, und man gerne mehr über die Protagonisten erfahren hätte: Hier werden Herz und Hirn dafür geweitet, dass man - wie es einer der Fünf so schön auf den Punkt bringt - '90 Prozent gute und 10 Prozent schlechte Menschen' trifft, wenn man offen auf sie zugeht."
Jessica Düster, choices, 31.10.2013

"Alle verbindet der endlose Aufbruch zum Ankommen. Ihr Zuhause sind Heimaten. Nur noch der Plural jenes Ortes, der gleichsam Gefühl ist, kommt in Betracht. In der aktuellen Koproduktion von theater-51grad.com und intakt e.V. begegnen sich Menschen auf gleicher Augenhöhe. Sowohl Schauspieler wie auch Publikum kommen nicht aneinander vorbei. Geschichten strecken ihre Bilder und Alphabete durch den Raum und lassen sich unvermeidlich auf Textilien, Haut wie Synapsen nieder. Niemand verlässt die Stätte als bloße Kopie des Einkehrenden."
Kölner Wochenspiegel, 06. November 2013

"Žižeks Behauptung, dass man sich in ein Schicksal einfühlt, sobald man es vor sich ausgebreitet sieht, ist nichts entgegenzusetzen. Auch wenn – wie hier – Person und Geschichte nicht deckungsgleich sind, funktioniert die Identifikation unmittelbar. (...) Rosi Ulrich und Karin Frommhagen, die das Projekt leiten, servieren eine makellose theatralische Installation, die aber keine neuen Erfahrungswerte oder Erkenntnisse freilegt. Dass uns die Fähigkeit zur Einfühlung in den vermeintlich fremden Menschen verändert, und sich Anteilnahme gar nicht erst in Aggression verwandelt, ist durchaus bekannt. So erweist sich das kleine Panorama der Lebensgeschichten am Cafétisch als eine sympathische, aber politisch zahnlose Aktion."
Thomas Linden, Kölnische Rundschau, 16. November 2013

Credits

Konzept & Künstlerische Leitung: Karin Frommhagen & Rosi Ulrich / 
Mit: Isis Krüger / Katrin Nowak / Oliver Schnelker/ Tomasso Tessitori /
Ausstattung: Trixy Royeck / Ton: Ralph Lennartz / Ethnologische Begleitung: Hanna Kunas / Graphik: Arif Demir / Kommunikation: neurohr & andrä

Eine Produktion von intakt e.V. in Koproduktion mit dem theater-51grad.com
In Kooperation mit Freihandelszone, ensemblenetzwerk köln

Premiere, Oktober 2013, Köln

Gefördert durch das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen